Bergsteigen

Verschiebung der Grenzen durch Momente der Angst

Die junge amerikanische Kletterin Sasha DiGiulian erkletterte die „Camillotto Pellissier" in den Dolomiten, Italien. Keine Frau hatte jemals zuvor ihre kniffelige Route im free climbing versucht. Nach einigen schwierigen Anfangssteigungen entdeckte sie, dass es im oberen Teil keine Felshacken und Haltebolzen gab. So musste sie den Rest im free-solo beenden und dabei mit ausbrechenden Griffen fertig werden. Dazu sagte sie sinngemäß:
24. 3. 2014

Normalerweise werden Sie mich nicht im free solo in einer 350m hohen Felswand finden. Der Unterschied zwischen free climbing und free solo ist der, das man beim ersteren gesichert ist und ein Seil hat, so dass das Risiko eines tödlichen Unfalls sehr gering ist. Wohingegen ein Sturz bei letzterem fast immer tödlich endet. Was mich von free solo abhält, sind die unkontrollierbaren Aspekte, die der Sport dadurch erhält.

Während des Kletterns ist es wunderschön, die komplette Kontrolle über sich selber und seine Bewegungen zu spüren – sich der Umgebung bewusst zu sein und zu wissen, dass höchste Konzentration notwendig ist, um nach oben zu gelangen. Wie auch immer, diese Schönheit wird begleitet von unkontrollierbaren Gefahren, wie zum Beispiel ausbrechenden Griffen.

In den Dolomiten ist es gelegentlich wahrscheinlicher, dass so etwas passiert, als die Möglichkeit, dass es nicht passieren wird. Aber verzweifelte Situationen erfordern verzweifelte Maßnahmen und was wäre ein Tag in einer Wand in den Dolomiten, wenn er nicht unglaublich wäre? Ich glaube nicht, dass Edu und ich das je herausgefunden haben…!

Nach der Begehung der „Bellavista“ und einigen Tagen der Rast, der Erholung und des Fotografierens, haben wir ein neues Projekt gestartet. Dieses Mal wollten wir die “Camillotto Pellissier” versuchen, auf der Cime Grande Route, mit Steigungen von 7b+ – 7c – 8a+ – 8a – 7a – 8a+ – 6c+ – 6b – 6a – ….etc  bis zum Gipfel des Turmes. Keine Frau vorher hat diese Route im free climbing gemacht, also war ich die Erste, die es versuchen würde.
Wir haben auf eine gute Wettervorhersage für einen perfekten Tag zum Klettern gewartet (auch wenn die Vorhersagen in Tre Cime nicht sehr genau sind...), fanden einen Tag mit gutem Wetter, wachten früh auf und schlugen zu.

Edu ging die erste Steigung voran, dann führte ich in der zweiten und so haben wir uns die ganze Route über abgewechselt. Wer als zweiter ging musste den Rucksack gefüllt mit Red Bull, Wasser und Essen tragen.
Als wir die schwereren Steigungen hinter uns gelassen hatten, wurden wir optimistisch und dachten, dass alles Weitere flott gehen würde. Für den Fall eines unerwarteten Sturmes wie auf der Bellavista waren wir mit Gore-Tex Jacken ausgestattet.

Das Buch hat nicht erwähnt, dass die oberen leichteren Steigungen keine Kletter- oder Borhaken haben würden, worauf wir nicht vorbereitet waren. Obwohl der obere Bereich nur aus leichten Aufstiegen besteht, bist du noch immer senkrecht und 350m über dem Boden und das auf lockerem Fels. Wir waren optimistisch, wenigstens einige rostige Kletterhaken zu finden, aber nachdem wir 30m weit nichts dergleichen gefunden haben, beschlossen wir, uns loszubinden und nebeneinander auf die Spitze zu klettern.

In der gegebenen Situation hatten wir nicht viele Möglichkeiten. Einmal in dieser Höhe der Wand, hast du nur die Option aufwärts, so dass du auf der anderen Seite absteigen kannst. Vor dem Weiterklettern wurde jeder Felsen genau geprüft. Der Gedanke abzustürzen kam mir nie in den Sinn, weil das etwas war, was ich einfach nicht zulassen konnte - zumindest bis zu dem trichterförmigen Felsen, der, wie ich dachte, sehr stabil wäre. Der Fels stürzte runter und ich haftete nur mit dem rechten Arm und dem rechten Fuß an der Wand und mein Herzschlag setzte für einen Moment aus. Alles woran ich dachte war, verlagere dein Gewicht nach rechts und bleib in der Wand!

Dieser Moment dauerte ewig. Das Leben machte eine Pause und dann suchte ich einen festen Platz für meine linke Hand und meinen linken Fuß. Nach diesem Felssturz fühlte ich die enorme Gefahr viel deutlicher. Ich hatte Angst aber ich konnte nicht aufhören, weil ich wusste, dass wir auf den Gipfel kommen mussten.

Mir war bewusst, dass in einer solchen Situation kein Platz für Jammern wäre. Jammern bringt dich nirgendwohin, nur in eine noch negativere Stimmung und es lenkt deine Aufmerksamkeit von deiner Aufgabe ab.
Am Gipfel begannen wir dann mit einem trügerischen Abstieg. Wie auf Bellavista, bestand der erste Teil des Abstieges aus gelegentlichem dürftigem Abseilen an alten Kletterhaken, und dann normales Runterklettern, idealerweise durch Gletscherspalten.

Nach dem Erklettern von drei separaten Wänden, inklusive unseres Hauptprojektes, und dem Glücksgefühl in Ordnung zu sein nach der fast fatalen Situation, beschlossen wir, die letzten 4 Tage unserer Reise mit angenehmem Sportklettern zu verbringen.

Wir fuhren für einen Tag nach Erto Tag (da schickte ich Tucson :D), dann nach Dardago für eine Fotoserie mit Jensen Walker für ein neues FiveTen Poster und dann nach Frankenjura, Deutschland, für die letzen eineinhalb Tage.

Man kann seine Wohlfühlzone nicht ausweiten, wenn man nicht aus ihr heraussteigst und sich testet. Auf dieser Reise habe ich sicherlich neue persönliche Grenzen verschoben, viel über neue Ausrüstung gelernt und wie man ruhig mit lebensbedrohenden Situationen umgehen kann. Wesentlich war, sich auf eine Reise wie diese nur mit jemandem dem ich vertrauen, mit dem ich auskommen und drei Wochen durchgehend verbringen konnte, zu machen. Ich hatte einen Wahnsinnsspaß mit Edu Marin, der Maschine und ich kann kaum unser nächstes Abenteuer erwarten! .D

By Sasha DiGiulian

Blog: sasha-digiulian.com

24. 3. 2014
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